Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz muss erweitert werden
Volker Beck, MdB, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen, erklärt:
15 Jahre nach der endgültigen Aufhebung des § 175 müssen endlich die Opfer der antihomosexuellen Strafgesetzgebung in Deutschland rehabilitiert und entschädigt werden. Es ist auch dringend an der Zeit, dass unsere Verfassung endlich klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass Schwule und Lesben gegenüber Heterosexuellen gleich an Würde und Rechten sind:
Niemand darf auf Grund seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden. Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz muss entsprechend erweitert werden.
Am 11. Juni 1994 trat die Abschaffung des berüchtigten Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches in Kraft. Bis 1969 war in der Bundesrepublik jede sexuelle Begegnung auch zwischen erwachsenen Männern strafbar. Danach galten unterschiedliche Schutzaltersgrenzen für Homo- und Heterosexualität. Bis zur Entkriminalisierung der Homosexualität unter erwachsenen Männern 1969 gab es in der Bundesrepublik über 50.000 Verurteilungen, bis zur Aufhebung des § 175 in 1994 weitere 3545. Für die DDR wird geschätzt, dass es zu ca. 4300 Verurteilungen nach dem Homosexuellenstrafrecht kam.
Die Strafbarkeit von Homosexualität wie auch die Festlegung unterschiedlicher strafrechtlicher Schutzaltersgrenzen für Homo- und Heterosexualität waren schwere Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. § 175 war ein Schandfleck für unsere Demokratie. Dieses Unrecht muss endlich aufgearbeitet werden.
Grüne Initiativen zur Aufhebung des § 175 in den 80er Jahren wurden von der damaligen CDU/CSU/FDP-Regierung noch abgeblockt. Erst im Zuge der Rechtsangleichung mit der ehemaligen DDR wurde der Paragraph 1994 aufgehoben. 15 Jahre nach der Abschaffung des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle leben heute Lesben und Schwule in Deutschland immer noch nicht frei von Diskriminierung und homophoben Anfeindungen. Wir haben zwar viel an gesellschaftlicher Liberalisierung erreicht. Dennoch sind homophobe Parolen im Fußballstadion, in manchen Musikszenen und besonders auf dem Schulhof immer noch Alltag, mehren sich die Berichte über antihomosexuelle Gewalttaten. Manche evangelikalen Kreise sehen Homosexualität immer noch als Krankheit und wollen diese heilen. Ein Kuss von zwei Männern im öffentlichen Raum, so wie im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gezeigt, provoziert noch immer. Anschläge auf das Denkmal gab es bereits mehrfach.
15 Jahre nach dem Ende der strafrechtlichen Verfolgung ist es höchste Zeit für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie. Und eines ist auch klar:
Solange der Staat selbst noch Lesben und Schwule diskriminiert, kann er nicht Vorbild sein. Zur vollen Gleichstellung brauchen wir die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1957 die Strafbarkeit der Homosexualität durch den § 175 StGB in seiner nationalsozialistischen Fassung für verfassungskonform gehalten und die Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention nicht erkannt. Hier schuldet der Verfassungsgeber den Homosexuellen in Deutschland etwas. Die Erweiterung des Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz ist mehr als überfällig. 15 Jahre nach der Abschaffung des Paragraphen 175 bleibt noch viel zu tun.