Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #9

Das L-Wort ...

"Duhu, Irma! Ich will nicht Lesbe heißen." Vorsorglich duckte ich mich. Dem Donnerwetter, das auf mich herunterprasseln konnte, wollte ich entgehen. Aber nichts geschah. Irma schleckte ihr Sorbet, als hätte sie mich nicht gehört. "Ja, ich weiß, es ist schon irrwitzig, nach 20 Jahren Lesbischsein ..."

"Erwartest du eine geschichtliche Abhandlung über den politischen Begriff?", fragte Irma und leckte sich die Lippen.

"Darum geht es nicht", sagte ich kleinlaut. "Ich finde den Klang des Wortes Lesbe einfach nicht schön. Es schwingt was mit in Richtung lendenlahm und so."

"Ich würde mich ja gerne mit dir geistig duellieren. Nur sehe ich, du bist gerade unbewaffnet", neckte Irma. Sie hatte Recht. Ich war zu beschäftigt mit meiner tropfenden Eiskugel, um auf ihre Beleidigung reagieren zu können. Und seitdem sie als wissenschaftliche Assistentin an der Uni arbeitete, glaubte sie, mit Verstand sei alles lösbar.

"So aus dem Bauch heraus würde ich unsere Community lieber Lesba oder Klitera nennen." Wie sollte ich Irma erklären, dass mir auf Ausdrücke mit der Endung "e" nur abfällige Schimpfwörter einfielen wie Schamlippenkröte, Schwulette, Schleim-, Gummi- oder Gurkenfotze. Nicht zu vergessen Nutte, Stute, Hure, Kampfameise und Kampflesbe.

Zwar fielen mir mehr und mehr Beschimpfungen ein, aber da mein Erdbeereis schneller schmolz, als ich es essen konnte, konzentrierte ich mich vorsichtshalber auf die rosa Kugel.

"Letkiss wie der Springtanz aus den Sechzigern wäre auch nicht schlecht", dachte Irma laut nach und kam mir einen Schritt entgegen.

"Schimpfwörter haben so einen gewissen Tonfall", sagte ich und wischte mir die klebrigen Finger am Rockzipfel ab. "Sie hören sich schwer, unfreundlich und etwas düster an. Wie lesbisch, Lesbe oder auch schwul."

"Vielleicht liegt es nicht nur an der Endung e, die etwas Unweibliches an sich hat. Vielleicht stört dich auch der Zischlaut?" Eine Zeitlang kümmerten wir uns um unsere tropfenden Eiswaffeln und sprachen kein Wort.

"Kennst du noch andere Synonyme, Irma?" Wenn sie sich schon für ein Lexikon hielt, dann sollte sie zeigen, was sie so drauf hatte. Ich war überrascht, als sie ein sinnverwandtes Wort nach dem anderen ausspuckte. Sie begann mit Bienenkönigin, ging über zu Dame, eigene und feminine Frau. Sie schoss wie aus der Pistole Garçonne, Invertierte, Konträrsexuelle und Krafft-Ebing’sche hinterher. Dann legte sie noch Queers, sapphisch Liebende, Schwester und Tribade nach. Ihr ging immer noch nicht die Luft aus, als sie mit Urning, verzaubert, viertes Geschlecht, virile Frau, von der anderen Fakultät und weib-weibliche Liebe kam. "Und die restlichen kennst du selber", endete sie schließlich und knabberte zufrieden an ihrer Krokantwaffel.

"Vielleicht sollte ich die sexuelle Komponente des Begriffs vergessen und mich doch lieber an die geschichtliche, politische Abhandlung halten?" Ich gab erschöpft auf.

Irma lachte schallend: "Ach was, halte es doch wie Djuna Barnes. Sie sagte: Ich bin keine Lesbe, ich habe nur Thelma geliebt."

Das passte mir aber auch nicht. Wenn ich sichtbar sein wollte, dann musste ich meiner Lebensweise einen Namen geben. Ob der nun lesbisch, Lesbe, Lesbierin, sorum oder andersrum hieß: Solange es eine Schublade für mich gab, konnte ich nach Herzenslust aus dem Rahmen fallen.