Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #14

Das bisschen Sex

Wo nur Irma bleibt? Nirgends ist es so kalt wie in der Notaufnahme. Irma fehlt mir so. Das Personal hetzt an mir vorbei und lächelt mild. Fiebrig rotiert der Spitalbetrieb im Namen der Gesundheit. Und im Namen der Liebe?

"Mette!" Meine Busenfreundin stürmt herbei. "Göttin sei dank, du lebst noch." Ich werfe mich in ihre Arme und seufze elendig: "Ach, Irma, es ist noch nicht aller Tage Abend." Dabei ist mir nichts passiert, sondern meinem Blind Date, erinnere ich mich und beginne wieder zu frieren. "Beim ersten Drink einigten wir uns, erotische Rezepte zu tauschen", platze ich heraus. Schmunzelnd unterbricht mich Irma: "Und? Ist dein Finger stecken geblieben, oder was?" Typisch meine Freundin Irma, erst mal eine Prise schwarzer Humor. Aber die Sache ist zu ernst. Mein Bettschatz liegt auf dem OP-Tisch. "Nie mehr Sex. Ich werde Jungfrau!", gelobe ich vor lauter schlechtem Gewissen. Irma lacht schallend und grölt: "Jetzt sag schon! Ist der Vibrator durchgeknallt? Oder hat euch die Latexallergie gekillt?" Sie schlägt sich amüsiert auf die Schenkel.

Ich will in der Notaufnahme nicht auspacken, wie sehr ich beim Sex versagt habe. Ausgerechnet bei einer Frau, in die ich mich hätte verlieben können.

Sobald ich nur an sie denke, knie ich nieder vor ihrer Haut aus Samt und Seide. Innere Werte hat sie bestimmt auch. Ganz bestimmt sogar. Aber noch mehr reizen mich ihre Lippen. Zum Knutschen gemacht! Und eine Figur, bei der sich jede Kurve exakt in meine Hand fügt. All das befindet sich nun in den Händen von grünen Gestalten.

Irma entdeckt mein blaues Auge. "Was ist denn das?", erschreckt sie. Nun rolle ich meine Blamage doch noch auf: "Sie flehte nach einem Höhepunkt. Warf sich von links nach rechts. Schoss hoch und runter. Als ihr Knie mein Auge traf, war ich es leid. Ich fischte nach unseren Büstenhaltern und band ihr die Beine ans Regal. Das knarrte. Schwankte. Schließlich brach es zusammen und "Das Weiberlexikon" schlug sie bewusstlos. Die Ecke der neuen Stereoanlage riss ihr rechtes Ohr ein. Schlussendlich traf auch noch mein Handy ihre Nase. Als endlich die Sanitäter und der Notarzt eintrafen, war sie immer noch benommen und blutete wie nach einem Auffahrunfall."

Irma wird blass. "Wie schrecklich! Ist sie schwer verletzt?" Endlich nimmt sie mich ernst. Erleichtert verneine ich.

"Wir hatten verdammtes Glück. Wir waren sogar fast angezogen. Und nun sitze ich hier und friere und mache mir die größten Vorwürfe. Nie mehr werde ich mich leichtsinnig dem Leichtsinn hingeben. Das Leben ist zu kurz, um es für ein flüchtiges Abenteuer aufs Spiel zu setzen." Der moralische Katzenjammer packt mich doch noch.

Irma runzelt die Stirn. "Mette, wie heißt sie eigentlich?" Ich hole tief Luft und zucke mit den Achseln. Insgeheim weiß ich, was ich nicht einmal Irma verraten werde. Diese Frau gehört zu den wenigen Menschen, in deren äußere Werte ich mich verliebe. Ich will Sex, sonst nichts. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass sie Charakter hat. Nach der Nacht bin ich ihr wohl noch etwas schuldig. Und wieder zittere ich, aber diesmal vor Erregung.