Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #4

Kaffee oder Tee?

Meine Freundin Irma bringt mich oft in Situationen, die mich noch Tage verfolgen, wie das schlechte Gewissen beim Genuss von verbotenen Früchten.

Gestern war sie mit ihrer Freundin da. Die beiden sind so verliebt, dass sie heiraten möchten. Wir saßen gemütlich beim Abendessen. Bis Irmas Freundin sagte, sie sei nicht lesbisch. Da Irma weiter schmunzelnd ihren Nacken kraulte, wollte ich keine Spielverderberin sein und lächelte auch. "Wollt ihr noch eine Tasse Kaffee?", fragte ich, um mich in der Küche wieder zu fangen.

Aus dem Wohnzimmer hörte ich wildes Geknutsche und Irma raunte: "Du bist nicht lesbisch? Was denn dann?"

Ernsthaft, sogar bitterernst, erwiderte ihre Freundin: "Ich verliebe mich in einen guten Menschen, wie du es bist, und nicht in ein Geschlecht."

"Sie ist eine Bi", rief ich vorlaut aus der Küche.

"Bi?", wiederholte Irma nachdenklich und meinte: "Das hört sich an, als ob du gleichzeitig mit einem Mann und einer Frau schläfst." Vergnügt boxte sie ihrer Freundin in die Seite und stöhnte: "Schatz, wir müssen ein neues Bett kaufen. Zu dritt ist es zu klein!"

Irmas Freundin fand es nicht witzig. Ich auch nicht, aber aus einem anderen Grund: Welche Lesbe hat schon Lust, das Bett mit einem Mann zu teilen? Das wäre so absurd wie vor dem Tod leben zu wollen und anfängt Autorennen zu fahren.

"Irma!" Ihr Ton wurde scharf. "Unser Bett ist groß genug. Ich bin …! Ich bin, verdammt, wie heisst das noch mal? Ich bin bisexuell und nicht polygam! Ist das klar?!"

"Ups!", rülpste Irma, aber ihre Freundin war noch nicht mit ihr fertig. Mit erhobenem Zeigefinger rief sie: "Und wehe, ich erwische dich mit jemandem in unserem Bett!"

Irma entgegnete trocken: "Immer auf die Kleinen, die nur eine Mutter haben."

Ich stellte meine Tasse Kaffee auf den Tisch. Sie dampfte. Und plötzlich malte ich mir aus, wie ich gleichzeitig Kaffee und Tee durch die Lippen ziehe. Obwohl ich jedes Getränk einzeln sehr mag und mir beides ausgezeichnet schmeckt, würde ich sie zusammen einfach nicht trinken. Igitt! Mein Magen würde heftig streiken und mir nie wieder vertrauen.

Er würde noch mehr an mir zweifeln, wenn ich auf eines von beiden verzichten würde. Wer kann sich schon für einen heilenden oder aromatischen Genuss entscheiden? Zudem besitzen beide gute und schlechte Eigenschaften. Obendrein denke ich nie, während Kaffee meine Zunge berührt: "Hätte ich jetzt bloß Tee." Oder umgekehrt.

"Sag mal, weißt du, wohin du gehörst?", fragte ich.

"Ja klar! Zur Liebe!" Die Stimme von Irmas Freundin wurde traurig und Tränen füllten ihre Augen. "Ich wünsche mir, manchmal zu euch zugehören. Oder wohin auch immer!" Zu Irma gewandt fragte sie: "Wirst du mich verlassen für eine verheiratete Frau, nur weil ich bisexuell bin und, wie viele Lesben behaupten, mich nicht entscheiden kann?"

Irma konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Ich wusste nicht, was sie so amüsierte. Sie nahm das Gesicht ihrer Freundin in die Hände und sagte: "Ich verspreche, artig zu sein, bis sich unsere Wege wieder trennen."

Irma hatte Nerven. Meine lagen blank. Ich zweifle, ob ich es genauso locker nehmen könnte, wenn meine Freundin sich als bisexuell outen würde. Bin ich froh, dass ich lesbisch bin!

Aber bin ich mir über meine lesbische Identität so sicher? Es gibt Männer, die sind wirklich Kandiszucker und versüßen jeden Kaffee oder Tee, aber ich würde sie nicht in mein Bett einladen. Schließe ich sie als Leckerei aus meinem Leben aus, weil ich nicht aus der lesbischen Solidarität ausgestoßen werden möchte? Darauf erst mal einen Kaffee, oder doch lieber einen Tee?