Samstag, 21. Dezember 2024
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Kolumne #29

Irma hat einen Freund

"Sag mal, Irma, wer war denn der junge Mann?"
Meine beste Freundin schaut irritiert zum Frühstücksbüffet.
"Junger Mann? Wen meinst du?", fragt sie.
"Nein, nicht den Kellner", sage ich, "der, mit dem du gestern bei Teresa warst. Ganz eng hattet ihr die Köpfe. In der Trattoria unseres Vertrauens. Ausgerechnet! Läuft da was?"

"Blödsinn", sagt Irma. "Wenn ich eine Affäre anfinge, dann doch wohl mit dir."
Sie holt sich einen Apfel vom Büffet. Sonntagsbrunch im Bett? Mit Irma? Das ist schon längst gegessen. Was wir heute haben, ist mehr. Und es hält ein Leben lang. Da kann niemand zwischen. Weder ein Hund noch eine Liebe. Und schon gar nicht ein Mann.

"Lenk nicht ab." Ich ärgere mich. Seit wann muss ich meiner Irma die Rosinen einzeln aus dem Kopf pulen? "Kaum ist deine Frau auf Dienstreise, sitzt du mit diesem Knilch bei Piccata und Primitivo!" Irma zuckt mit den Schultern. "Es war Saltimbocca", sagt sie und zerteilt den Apfel in mundgerechte Schnitze.

"Egal", zische ich. "Ganz egal, was ihr euch reingeschoben habt. Ich habe euch gesehen. Du hast ihm was ins Ohr geflüstert. Und dann habt ihr gelacht. Beinahe hätte ich die Notbremse gezogen." Genüsslich knurpselt Irma die Apfelstücke. "Kein Wunder. Wir hatten den Tisch am Fenster." Manchmal möchte ich sie einfach nur ins Müsli schnitzeln. Ich bin doch ihre beste Freundin. Ich bin ihre Vertraute. Und jetzt das: ein Kerl! "Raus mit der Sprache", sage ich. "Wer? Ist? Er?"

Als ihre beste Freundin habe ich doch wohl ein Recht zu erfahren, mit wem meine Irma auf einmal so vertraut tut! Ich sage ihr doch auch alles. Sie ist meine Nummer Eins. In allen Lebenslagen. Und es kann nur eine Nummer Eins geben. Aber gestern war einzig die Ampel meine Freundin. Wegen der hatte die Straßenbahn genau vor "Da Teresa" halten müssen. Sonst hätte ich Irma nicht erwischt. Und beinahe die Notbremse gezogen, so erschreckt war ich.

"Er ist dir also aufgefallen", sagt Irma. "Der ist aber auch …" Sie leckt sich die Lippen. Das ist er, denke ich. Und wie. Ich zupfe ein Stückchen Brot von der Rinde und tunke es in meine Latte Macchiato. Er war es, der mir auffiel. Und dann erst sah ich, um wen er sich bemühte. Meine Irma. Bekennende Lesbe seit vor dem Abitur.

Irma bestellt einen Milchkaffee. "Er heißt Philipp." Sie lehnt sich zurück. "Und er ist mein bester Freund. Schon auf der Uni ist er das gewesen. Seit dem Hauptseminar über die Scholastiker gehört er zu meinem Leben. Er ist eben Philipp."

Irma, meine Irma hat einen Freund? Und gleich einen besten? So einen Schönling? Ach was! Ich bin doch ihre beste Freundin! Schon immer gewesen. Und diesen Mister Philipp Lockenkopf kenne ich noch nicht mal ansatzweise. Sprachlos starre ich Irma an. Ich brauche einen Schnaps. Wo steckt nur der Kellner? Männer. Nie da, wenn frau einen braucht. "Ich dachte, ich bin deine beste Freundin." Meine Stimme klingt kläglich.

"Bist du doch." Irma reicht mir einen Apfelschnitz. "Und Philipp ist eben mein bester Freund. Freunde sind immer gut. Freunde kann eine nie genug haben."
Sie lächelt und bestellt einen Schnaps. "Einen doppelten", sage ich. "Bitte."