„Gay! Gay! Nun gay schon!“ Wieder drücke ich den Knopf an der Ampel.
„Werde grün. Grüner. Am grünsten!“
Wenn Gewalt versagt, muss eben Magie ran. Ja. Es grünt so grün und ich will über den Zebrastreifen spurten. Da hält mich meine Busenfreundin Irma fest. Und knutscht mich zur Begrüßung. Ausgiebigst. Mitten auf dem Bürgersteig. Die Ampel errötet prompt.
„Irma, lass mich los! Die Leute gaffen schon. Ein öffentliches Ärgernis, dafür habe ich wirklich keine Zeit.“ Es ist immer noch Rot. Irma hakt sich bei mir ein.
„Ist heute dein Bloß-nicht-Homo-Tag?“, fragt sie.
Ich hole tief Luft und lege los. „Die wissenschaftliche Bezeichnung Anführungszeichen unten homosexuell Anführungszeichen oben wird von vielen gleichgeschlechtlich orientierten Frauen wegen der Reduktion ihrer Empfindungen auf Sexualität abgelehnt, da lesbische Lebensweise neben Sexualität auch die emotionale Zuwendung sowie den Wunsch nach partnerschaftlicher Bindung beinhaltet oder beinhalten kann.“ Uff. Bis ich diesen Satz auswendig konnte!
Irma schaut mich groß an. „Wo hast du das denn her?“, fragt sie.
„Wikipedia“, antworte ich stolz. „Zur Abwehr. Und zum Vorbeugen. Die intolerante Vogelgrippe ist mal wieder unterwegs. Gleich hält sie einen homophoben Vortrag, direkt um die Ecke. Gayst du mit?“
Irma schüttelt sich. „Das wird zur Epidemie. Malaysia jagt Homosexuelle und, schwups, muss hier auch wieder für die sogenannte Ordnung gesorgt werden. Die weiße, patriarchalische, heterosexuelle, versteht sich. Wenn sie es schon nicht bei sich daheim können, dann ...“
„... dann schießen sie eben in der Nachbarschaft auf den Haussegen“, unterbreche ich. „Dabei ist es doch bekannt. Bis zu zehn Prozent warme Brüder und oder starke Schwestern sitzen mit in der Runde. An jedem Familientisch. Transgender auch und all die anderen aus der Family. Schon immer. Und das wird auch so bleiben. Da hilft keine Kokosmilch, auch keine Pomelos oder Orangen und selbst Zitronen versagen. Der Ratschlag ist sowieso nicht wissenschaftlich. Wie heißt dieser Professor doch gleich – der von der Universität in Malaysia? Ach, der hat doch schlicht einen Vogel.“
Irma grinst breit. „Ach, wie schade! Stell dir nur vor, Saures als Anführungszeichen unten Gegenmittel Anführungszeichen oben für Homosexualität.“ Sie überlegt kurz.
„Dann müsste umgekehrt Süßes jede heterosexuelle Frau zu einer Lesbe machen.“ Sie kichert. „Ob Christine Gräfin von der Pahlen das wusste, als sie riet, auch bei kleinen Einladungen Konfekt als Gastgeschenk mitzubringen?“
Das ist die Lösung! Erleichtert drücke ich wieder den Ampelknopf. Schokolade habe ich immer dabei. Ob der Homophobiker dann schon während seiner Rede schwul wird? Oder dauert das ein bisschen? Wenigstens wäre der erste Schritt in ein warmes Leben getan. Falls es mit der Homosüßität doch nicht gayt, könnten wir immer noch über Stockschläge, Strafverfolgung und Umerziehungslager à la Malaysia nachdenken. Nicht nur dort glaubt man ja, dass das umgekehrt klappt.
Endlich, Grün. Zufrieden gehe ich über die Straße, Irma im Schlepptau. Wenn doch alles so gut funktionierte wie die Taste an der Ampel.