Was wäre, wenn ...

"Na, Mette, wie war die Reise?" Irma holt mich ab. Sie liebt den Flughafen, aber das Fliegen hasst sie. Ob sie Flugangst hat? "Voll war er, der Flieger. Und geschaukelt hat es gewaltig", berichte ich. "Aber Madame Tussaud’s ist immer wieder einen Besuch wert. Komm doch das nächste Mal mit. Das wird dir gut tun, aus der Schweiz rauszukommen. Ich halt dir auch die Tüte!"

"Für mich hätte das Flugzeug nicht erfunden werden müssen. Am schönsten ist es nämlich zu Hause", knurrt Irma und schiebt die Parkkarte in den Kassenautomaten. "Die Welt liegt uns doch auch hier zu Füßen! Zumindest ihre Küchen. Mexiko. China. Afrika. Wohin sollen wir gehen? Zum Döner?"

Klappernd fällt das Restgeld in die Blechschale.

"Nee. Lieber was Richtiges. Übrigens, ohne Flugzeuge wären die Kühlschränke ziemlich leer, beispielsweise."

"Beispielsweise bräuchten wir dann auch kein Kyoto-Protokoll! Das wäre vielleicht nicht das Schlechteste, Mette."

Irma konzentriert sich auf das Ausparken. Eine Welt ohne Luftfahrt? Ob meine beste Freundin auch Wasserflugzeuge meint? Die von der Feuerwehr?

"Weißt du", sagt Irma und fährt los, "immer heißt es Fortschritt, Fortschritt, Fortschritt. Und schon verändert sich die Welt an Ecken, wo es niemand erwartet hätte."

"Ja", erwidere ich, "sogar in deiner Küche sähe es anders aus. Da hinge nicht Amelia Earhart als Poster. Ohne Flugzeuge keine Flugpionierinnen. Keine Elly Beinhorn! Keine Raymonde de Laroche!"

Irma lacht. "Manchmal denke ich wirklich, was wäre, wenn, Mette. Wenn es keinen Airbus, keine Boeing oder Concorde gäbe. Wenn die Fluggeschichte an bestimmten Punkten einfach abgestürzt wäre."

"Ohne Rosinenbomber keine Geschichte der Berliner Luftbrücke. Keine Berichte von Mitgefühl und Menschlichkeit über die Zonen hinweg."

Dieses Fass verschließe ich besser wieder. Und zwar luftdicht. Sonst ventiliert Irma noch über das Thema Flugzeugbau, angefangen bei der zivilen Luftfahrt über die militärische Aeronautik bis hin zu Wartungsarbeiten und Flugsicherung. Alles, um nicht zugeben zu müssen, dass sie Angst vorm Fliegen hat.

Mein Magen knurrt. O Göttin, bitte erhöre mich und lass uns möglichst bald ein Restaurant mit Parkplatz finden. Gleichgültig, ob wir mit der Hand, Stäbchen oder Messer und Gabel speisen werden.

"Weißt du, Mette, manchmal versinke ich ein ganzes Wochenende in Romanen, die von solchen anderen Welten erzählen. Von einem autofreien Europa. Oder vom Leben ohne schwarzes Gold. Eine andere Industrie, weil irgendein beliebiges Detail in der Vergangenheit umgestülpt wurde. Mich fasziniert das Hypothetische, dieses ,Was wäre, wenn‘. Und wenn ich montags wieder in die Realität eintauche, bin ich überzeugt, dass wir in einer viel besseren Welt leben könnten. Beispielsweise einer ohne Flugzeuge."

'Grounding – Die letzten Tage der Swissair'. Diesen Dokumentarfilm habe ich Irma von meiner Reise mitgebracht. Ich glaube, den schenke ich ihr zu Weihnachten. Stattdessen bekommt sie den Gutschein aus dem Duty-free-Shop: Bewältigen Sie Ihre Flugangst. Jede Wette: Sie braucht ihn.