Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #42

Der Wurm steckt in der Suche

„Ich sterbe, Irma. Hörst du? Ich sterbe! Der Wurm nagt schon an mir. Es ist vorbei.“

Irma schiebt mir das Thermometer ins Ohr. „Woran stirbst du heute?“

Mühsam setze ich mich auf. „Fischbandwurm! Hast du den Film nicht gesehen? Das Monster wird zwanzig Meter lang. Hörst du? Zwanzig! Letzte Woche gab es rohen Fisch. Unser letztes gemeinsames Abendmahl. Schön war’s.“

Irma schüttelt das Kissen auf. „Aber, Mette. Ich hatte das Egli-Carpaccio. Du hast nur probiert. Ein winziges Stückchen. Wenn hier überhaupt eine sterben muss, dann doch wohl ich. Und mir geht es prima.“

Glaubt Irma etwa, ich sei eine Idiotin? Eine von denen, die was über Hodenkrebs lesen und am nächsten Tag im Wartezimmer der Urologin sitzen? Auch wenn ich mich aus Solidarität manchmal als schwul bezeichne, Hoden sind mir noch keine gewachsen. Meine Eierstöcke würden mir auch die Ohren lang ziehen. Und nun werden wir nicht einmal gemeinsam die Wechseljahre erleben.

„Woher weißt du eigentlich, an was du mal wieder stirbst?“

Matt taste ich nach dem Thermometer. „Doktor Google hat es mir gehupft. Die Foren haben seinen Befund bestätigt.“

So schnell kann man gar nicht klicken, wie im Internet harmlose Symptome zu tödlichen Krankheiten werden. Daher würde ich niemals, absolut niemals nur auf Doc Google hören. Die Häufigkeit der möglichen Erkrankung zählt dort nicht. Jedes Kind weiß, dass bei ihm ganz oben auf der Ergebnisliste die populärsten Beiträge stehen, direkt nach denen, für die ordentlich gezahlt wurde.

Allerdings gilt das nicht für meinen real existierenden Fischbandwurm, den tückischen Diphyllobothrium latum. Unerbittlich wächst er. In meinen Bauch! Was für ein Schicksal. Von einem Wurm gefressen! Ich hätte mir wirklich einen besseren Tod gewünscht. Oder besteht noch Hoffnung? Vielleicht lag es doch an der Suchabfrage? „Bitte, Irma, sieh dir mein Todesurteil an.“

Sorgfältig tippt sie meine Beschwerden in ihr Smartphone, eine nach der anderen. Alle mit plus. Kreuz, das passt. Ich sterbe schließlich. Was ist das? Sie kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen.

„PMS. Du kriegst deine Tage.“

Wie, kein Wurm? Keine Fischvergiftung? Ich rechne nach. Doc Google, Ihre Approbation ist gefährdet.

„Du bist dem Nocebo-Effekt aufgesessen. Dem bösen Zwilling des Placebos. Wer glaubt, wird selig.“ Irma rollt die Augen himmelwärts. „Aber du noch nicht, liebe Mette. Willkommen zurück unter den Lebenden.“

Mein Siechtum ist wie weggeblasen. Ich greife nach der Fernsehzeitung. Mist. Nur Gesundheitsmagazine und Ärzteserien. Nichts für mich, die Ansteckungsgefahr ist einfach zu groß.

„Also gut, Irma, vergessen wir das Sterben. Lass uns das Leben genießen.“ Wo steckt meine Busenfreundin nur? Ich höre sie im Flur murmeln.

„Entwurmungsmittel, gut. Im schlimmsten Fall? Ok. Dann esse ich weiter rohen Fisch. Bis morgen, Frau Doktor Schäfer. Und vielen Dank.“

Vielleicht sollte ich mir Irma zum Vorbild nehmen. Nicht das Internet, Fisch essen macht klug. Und wenn doch ein Wurm anklopft, versetzt ihm die Ärztin aus Fleisch und Blut den Todesstoß. Denn sterben sollte frau nur einmal. Höchstens.