Irma, meine allerliebste Freundin, kann sich aufregen und ereifern. Erst neulich wieder hatten wir eine lautstarke Debatte, weil ich gemeint habe, dass ich in den gängigen Zeitschriften die Kontaktanzeigen mit dem Zusatz "no Szene" oder "keine Szene", doof finde. Was ist an der Szene so schlecht?
Irma findet die Szene fürchterlich und argumentierte: "Jede kennt jede." Nach kurzer Pause schränkte sie ein: "Wenn auch nur vom Sehen", und wetterte weiter: "Jede war schon mit jeder im Bett. Ein inzestuöser Laden ist das."
Als ob Szene heißen würde: "sexgeile Zehnfinger eben noch ekstatisch".
Irma ließ nicht locker und ihre Augen funkelten dabei gefährlich ins Dunkle hinein: "Die Szene säuft und raucht sich zu Tode. Und alle haben eine Macke."
Oder auch: Sex, Zucht, Egoismus, Nikotin und Eierlikör.
Wenn ich eine Disko, Party, Bar oder Kneipe besuche, dann trinke ich auch ab und zu einen über den Durst, rauche manchmal dicke Zigarren und schlage über die Stränge. Wo und wann denn sonst? Abgesehen davon tut Irma das auch.
Darf meine beste Freundin mich aufgrund dessen als Szene-Frau beschimpfen?
Irma schimpfte weiter: Ich habe es nicht nötig, in der Lesbenszene, die vor zwanzig Jahren noch "Sub" genannt wurde, meine Liebhaberinnen aufzugabeln", und sagte stolz: "Mein Herzblatt fand ich im SHOE International IRC Network".
Als ob Shoe Chat oder andere Lesbenvereine und -projekte nicht zur lesbischen Kultur gehören würden. Doch Irma würde sich nie als Szene-Frau bezeichnen, ich mich auch nicht.
Wer und was gehört zur Szene? Gehören dazu nicht alle Lesben, die über das Alleinsein und die Zweierkiste hinaus Kontakt zu Gleichgesinnten suchen und sei es auch nur, um gemeinsam zu singen, zu chatten oder zu tanzen?
Irma behauptet, sie könne überall Tanzen gehen, weil sie Standardtanzen drauf habe. Sie hätte keine Probleme damit, ihre Freundin vor den Augen von Männern zu küssen. Sie hätte Männer noch nie geifern gesehen.
"Das mag ja schon sein", erwiderte ich, "aber ich küsse doch lieber in einem intimeren Rahmen unter Frauen. Wer möchte schon als Onaniervorlage dienen?"
Irma wischte mein Argument vom Tisch und konterte: "Die lesbische Kultur ist ein Marktplatz der Eitelkeiten, in dem eine schattenhafte Abordnung Biss, Stärke und Coolness fordert. Bloß nicht zeigen, dass frau weich und weiblich ist." Sie setzte noch einen oben drauf: "Eine Frau wird als Ware betrachtet, die nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, Bestseller und Auslaufmodell gehandelt wird."
Als ob sich das lesbische Netzwerk mit einem Blick überschauen ließe und Lesben verboten wäre, für sich das Beste für Bett und Herz herauszusuchen. Und sich selbst von der günstigsten Seite zu präsentieren, um für sich und andere attraktiv zu wirken. Szene heißt auch: schön, zauberhaft, echt - natürlich erotisch.
Aber Irma war nicht zu überzeugen. Sie findet Szene-Weiber echt doof, somit mich auch. Erst als ich ihr sagte: "Die Szene ist wie unsere Freundschaft: solidarisch, zeitlebens, ebenbürtig, nestwarm und eisern", wurde sie weich im Gesicht. Sie nahm mich in die Arme und flüsterte: "Was für eine Szene wegen dieser Szene."