Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #10

Kurz und klar

"Wir sind Lesben, weil wir dazu Lust haben", sagte Irma.

Die kleinen Steinchen auf der Mauer am See pieksten in meinen Hintern. "Lust bestimmt die Geschlechtervorliebe?" fragte ich nach. "Ist das eine Einbahnstraße?"

"Quatsch mit Soße", antwortete Irma.

"Prima, ab sofort werde ich eine Hetera und greife mir den nächstbesten Mann."

Warum nicht? Die Schwulen sind ja auch nicht blöd und wissen genau, warum sie "Männer, Männer" schreien.

Irma zuckte mit den Schultern. "Ich wünsche jedem Gepeinigten seine Lust im Elend, sagt die Stimme von Marrakesch."

"Elend?" Das fand ich übertrieben, obwohl ich zugeben musste, ich wäre nicht zufrieden, wenn ich einen Mann nicht entmannen und in ein Kleid stecken könnte. In den Kreisen, in denen ich verkehrte, hätte er sonst keinen Zutritt. Da ginge es ihm wie beispielsweise Frauen, die in Männersaunas oder in ehrwürdige englische Clubs wollen. Ich müsste mein Leben wegen ihm auf den Kopf stellen.

"Lust verkürzt den Weg, meinte schon unser Hamlet-Erfinder", antwortete Irma und sonnte ihr Gesicht, als wäre damit alles gesagt.

Ihre Art, mit Zitaten um sich zu werfen, empfand ich als ein unlauteres Diskussionsmittel. Ich ging nicht drauf ein und schweifte lieber ab in die Zeit, als ich noch eine Wahl hatte oder zumindest meinte, ich könnte mich zwischen Frauen und Männern entscheiden: Doch mein ziehender Schoß hatte bereits in frühen Jahren ein Auge auf das Weib geworfen. Wenn dann mein Blick auf sie fiel, war ich verloren. Nichts hätte mich darin hindern können nach ihr zu greifen, so unbekannt das fremde Wesen auch war.

Im Grunde genommen wunderte ich mich darüber, dass ausgerechnet ein Mann, der die Frau in so vielen Liedern besang, nicht verstand, was so begehrlich am weiblichen Geschlecht war. Er, der sich nach jedem Rock umdrehte und auch noch viel Geld dafür zahlte, um mit dessen Trägerin zu schlafen.

"Weltfremd bist du, meine liebe Irma. Vergisst du nicht all die Nachteile, nur um das Wort Diskriminierung, das mir ziemlich zum Hals heraushängt, nicht in den Mund zu nehmen?"

Wie aus der Pistole geschossen berief sich meine beste Freundin auf Goethe: "Lachen, Weinen, Lust und Schmerz sind Geschwisterkinder. Das Auge weint, sobald eine heftig lacht. Frei zitiert!"

Ich packte sie am Kragen und schüttelte sie heftig. "Lass` mich ab sofort mit deinen Sprüchen in Ruhe! Es ist mir völlig einerlei, ob ein versprengtes Gen oder ein ominöser Hirnlappen daran beteiligt ist, dass ich Frauen liebe!", schrie ich sie an. "Oder ob ich dich aus Bosheit umbringe. Oder aus Lust."

In Irmas Augen blitzte der Schalk auf. "Was für eine seltsame Sache, diese Lust der Busenfreundin zu widersprechen, frei nach Tolstoj", wagte sie zu sagen.

Ich fiel über sie her und kitzelte sie, bis sie beinahe von der Mauer stürzte.

Hinter meinem Rücken hörte ich eine weibliche Stimme sagen: "Schau mal, Bert, da sind Lesben."

Ich kam mir vor wie beim Schaulaufen auf dem CSD. Irma dagegen fand wieder eigene Worte. "O ja, das sind wir. Und zwar mit Wonne. Und aus Lust!", betonte Irma. "Probieren Sie diese Köstlichkeit doch auch mal!"