Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #27

Bezaubernde Jeans

"Mein oder nicht mein. Das ist hier die Frage", murmele ich und mustere die Jeans aus der Herbstkollektion. "Ach, Mette, was soll das Theater?" Irma greift nach dem Designermodell. "Erst probieren, dann sinnieren", sagt sie. "Zieh sie einfach an." Warum soll ich diese Jeans anziehen, wenn ich noch nicht weiß, ob sie mich anziehen? Denn das ist das Wesentliche. Und der Weg ins Herz jeder Frage.

"Zieh sie an. Bitte!" Irma schubst mich in die Kabine. "Es ist ein Kleidungsstück und kein Date mit Hoffnung auf mehr. Es sind Jeans. Keine Schuhe."

Genervt zerre ich am Vorhang. Gefallen sie mir nun oder nicht? Wie soll ich das so schnell entscheiden? Es ist schließlich eine Sache des Gefühls. Und seit wann stellen sich Gefühle auf Knopfdruck ein?

Ich passe tatsächlich in die Hose. Selbst der Knopf geht zu. So eng, so gut. Jetzt der Ernstfall: Spiegelcheck. Ich knurre. So dick, wie ich aussehe, kann ich gar nicht sein.

"Mette, du weißt doch, selbst in der besten Boutique sieht jede Frau im Spiegel ihre Urahnin wieder. Darf ich vorstellen: Die Venus von Willendorf höchstpersönlich." Irma lacht. Ich strecke die Zunge heraus - ihr, dem Spiegel und der Willendorferin.

"Sehr hübsch", bemerkt Irma. "Also, was ist jetzt, nimmst du sie nun?"

Auch wenn meine Busenfreundin ungeduldig wird, muss ich, die geborene Sammlerin, genau hinsehen. Das braucht nun mal seine Zeit.

"Liebe Mette, es ist ein Stück Stoff. Es soll dich nur warm halten. Da wirst du doch wohl schnell entscheiden können! Sowieso können wir nur Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, überhaupt entscheiden. Das hat schon Heinz von Foerster gesagt. Und der kannte sich aus mit Ja-nein-Fragen. Er war Kybernetiker. Täglich fällst du unbewusst tausende von Entscheidungen, in Sekundenbruchteilen. Oder grübelst du lange, ob du eine Unterhose anziehst?"

Foerster? Ich glaub, ich steh im Wald. "Unterhosen sind kein Problem, Irma. Aber Jeans! Die drücken meine Persönlichkeit aus. Die müssen sitzen. Und nicht nur das. Sie müssen noch viel mehr. Mich verschönern. Mich unwiderstehlich machen."

Irma sieht mich fassungslos an. "Mette! Eine Jeans zur Verführung einzusetzen, das ist wie Lotto." Sie seufzt theatralisch. "Mir reicht�s. Was hältst du von Schnick, Schnack, Schnuck? Gewinne ich, gibt es Hopfen statt Hose."

Eigentlich habe ich genug Klamotten, bei denen ich zu schnell und damit falsch entschied.

"Jeans oder nicht Jeans. Das ist hier die Frage", sagt Irma. "Du kannst aber auch mit mir ein Bier trinken gehen statt die Hose zu kaufen. Das Unterlassen einer Tat ist eine zulässige Alternative, wenn es ums Entscheiden geht. Außer du hast das letzte Exemplar in deiner Größe erwischt."

Irma will mich einfach nicht verstehen. Beim Jeanskauf geht es doch nicht um Hosen! Ich will das Beste für mich. Weil es im Leben so wenig Sonderangebote gibt. "Ich kann mich einfach nicht entscheiden." Verstohlen linse ich nach dem Preisschild. Uff.

"Das Wichtigste an Entscheidungen, liebe Mette, ist, dass eine Frau sie ganz allein treffen muss. Dieses Entweder-Oder ist eine Sache zwischen dir und dieser Jeans. Du weißt, wo du mich findest. Ich bestelle schon mal zwei Bier!