Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #32

Die betrogene Betrügerin

"Mensch, Mette! Der ist nagelneu!" Irma grabscht nach dem Mini. "Lang genug. Und zugenommen hast du auch nicht." Sie schielt auf das Etikett. "Den kannst du doch nicht einfach so wegwerfen." Ich nehme ihr den Designerrock ab und drücke ihn tief in den Sack für die Altkleidersammlung. Tief, ganz tief und noch tiefer.

Mein Gesicht wird rot. Tiefrot, ganz tief und noch tiefer rot. Irma setzt sich, schlägt die Beine übereinander und verschränkt ihre Arme. "Nun, ich höre", sagt sie.

"Also, also", stottere ich, "vor nicht allzu langer Zeit. Oder soll ich besser anfangen mit Es war einmal?" Der Blick, den Irma mir zuwirft, ist nicht nett. Wenn ich sie noch länger hinhalte, muss ich ohne Essen ins Bett. Bestimmt. Wie alt bin ich eigentlich? Gefühlt pubertär. Nur ohne Pickel.

"Ich warte", sagt Irma.

Okay, Augen zu und durch. "Ich, also, ich hatte eine Affäre." Hoffentlich wird sie sauer, weil ich ihr nichts davon erzählt habe. Pech. Sie zuckt nur mit den Schultern. "Die fand meine Beine so lang und so schlank und so schön und einfach bezaubernd. Und so weiter." Ich hasse es, wenn Irma schweigt, einfach nur wartet und schweigt. Aber noch mehr hasse ich es, wenn ich betrogen werde.

"Deine Beine gehören nun einmal zu deinen Trümpfen." Na endlich. Sie redet wieder.

"Also. Das war so. Sie hat mich zum Essen eingeladen. Zu sich. Und dann, dachte ich mir, du weißt schon, ich, ich hatte Appetit. Nicht nur aufs Essen, ich wollte, ich hätte, ich wäre gern …"

Irma atmet tief ein, ganz tief und noch tiefer. "Du, ich würde gerne heute noch, Betonung auf heute, den Kleidersack rausstellen. Also machen wir's kurz. Du wolltest Sex."

Muss Irma immer so direkt sein? Kuscheln wollte ich. Am liebsten schon auf dem Flur. Und dann weiter in der Küche. Und schließlich im Bett. Aber Sex? Daran habe ich nicht gedacht. Obschon. Ich werde wieder rot.

"Gut. Ich wollte Sex. Dafür habe ich meine Trumpfkarten ausgespielt. Und mir den Mini gekauft. Meinen ersten! Und zum Rock brauchte ich natürlich High Heels. Zehn Zentimeter! Und Dessous, Nylons und eine Seidenbluse mit Dekolleté, aber was für eins, tief, ganz tief und noch tiefer. Die Verkleidung war perfekt. Ich sah toll aus. Und irgendwie anders. Vor allem nach dem Frisör. Ich kam mir komplett runderneuert vor."

Irma schmunzelt. "Es hat geklappt, nehme ich an."

So tief seufzen kann ich gar nicht, wie ich es am liebsten täte. "Sie war begeistert. Und ich verstört." Irma schaut verblüfft. Ich versuche ihr zu erklären, wie fremd ich mir gewesen war in dieser Aufmachung. Und dann wurde ich schon im Flur vernascht. Die Pasta blieb kalt. Und ich bin gegangen. Für immer. Schließlich ist sie einfach fremdgegangen. Mit mir. Mit dieser Fremden. Ausgerechnet.

Irma kugelt sich vor Lachen. "Die betrogene Betrügerin!", japst sie und wischt sich die Augen. "Du kannst nicht nur dich selbst betrügen, du kannst sogar mit dir selbst betrogen werden!"

Verdammt. Kein Kuscheln mehr wegen dieses blöden Rocks. Und keinen Sex. Oder gebe ich noch eine Chance? Ihr? Mir? Dem Mini?