Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne 23

Die Neugier der Mäuse

"Irma, Pfoten weg!" Ich könnte meiner besten Freundin doch glatt die Einladung zum Abendessen kündigen. Warum habe ich bloß mein Tagebuch offen auf dem Küchentisch liegen lassen? Verdammt! Ich weiß doch, dass sie ihre Nase in jeden Kartoffelsalat steckt.

"Was regst du dich so auf, Mette? Ich bin eben wissbegierig. Mäuse lassen sich aus lauter Neugierde sogar von Wieseln fressen. Also lass mich doch! Deine miese Handschrift ist Strafe genug."

Nimmt Irma mich etwa nicht ernst? Muss ich ihr wirklich sagen, wie verletzt ich bin? Ihr das Thema Grenzüberschreitung mit dem Kartoffelmesser beibringen? "Zum Fressen habe ich dich sowieso nicht gern." Ich klopfe auf das Schnitzel ein. "Die Kannibalen können dich geschenkt haben! Und zwar mit Maus."

Irma nimmt mir das Fleisch ab und wendet es im Mehl. "Eine Maus würde mich verstehen", beteuert sie. "Sie würde einem tänzelnden und schwänzelnden Wiesel wie gebannt zuschauen. Sie ist eben wie ich. Faustisch! Hungrig nach Wissen. Sie käme nicht einmal auf die Idee zu flüchten und ?"

"Und wenn sie nicht gefressen wird", unterbreche ich Irma, "dann schnappt die Falle zu. Wenn nicht heute, dann eben gleich!" Das Fett in der Pfanne zischt.

"Ach was, liebe Mette. Im geheimen Buch der Evolution steht geschrieben: Und wenn sie nicht gefressen wurden, dann leben sie noch heute. Und, hör gut zu, sie sind reicher an Erfahrung."

"Neugier tötet!" Ich fuchtele ihr mit dem Messer unter der Nase herum. "Erinnere dich mal an Paulinchen, liebe Irma. Die im Struwwelpeter. Du weißt doch: Paulinchen war allein zu Haus, die Eltern waren beide aus. Und da sie nicht auf Minz und Maunz, die Katzen, hören wollte, endete es übel für die kleine Maus."

Den mahnenden Finger meiner Eltern habe ich noch lebhaft vor Augen. Ach ja! Und die Eva! Die kann Irma doch nicht vergessen haben. Eva, die mit dem Apfel. Den mit dem Wurm. Jawohl. Wenn Eva nicht so neugierig gewesen wäre, dann würden wir heute noch im Paradies leben. "Irma! Verdammt! Neugier ist wirklich tödlich. Erinnerst du dich an die Sache mit dem Fischverkäufer aus Ambon? Der hatte eine Bombe gefunden. Die Polizei benachrichtigt. Und dann doch die Nase in die Tüte gesteckt. Bumm! Tot war er. Auf der Stelle. Hörst du? Tot! Weil er seine Neugier nicht im Griff hatte."

Irma zuckt mit den Achseln. "Immerhin ist er posthum mit dem Darwin Award ausgezeichnet worden. Das ist doch nicht nichts!"

Die Schnitzel bräunen in der Pfanne.

"Liebste Irma, den bekommt jeder, der vor lauter Neugier dämlich aus dem Leben scheidet. Also jeder, der sich mit einem Wiesel, einer Bombe oder gar meinem Tagebuch anlegt. Jawohl!"

"Ach Mette, letztendlich dient Neugier doch dem Überleben. Wenn es sich herausstellt, dass etwas fressbar, nutzbar oder sonstwie wunderbar ist, dann hat sich jedes Risiko gelohnt."

Ich stelle die Pfanne auf den Tisch. Evolution hin, Neugier her: Mir ist die Diskussion zu blöd. Auch wenn wir noch im Neandertal säßen, und zwar ohne Wiener Schnitzel, weil sich die Steinzeitlerinnen nicht dem Feuer nähern wollten, mein Tagebuch gehört mir! Mahlzeit.