Dienstag, 19. März 2024
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Kolumne #22

Schneewittchen im Tierheim

"Irmlein, Irmlein, hier mit Hund, bin ich die Schönste? Tu mir das kund", bitte ich meine beste Freundin halb im Scherz und hoffe, nicht mit einer kantigen Ästhetikdefinition abgespeist zu werden, "so antworte und sage mir, ja, Frau Mette, Ihr seid die Schönste hier vor diesem Heim für Kleingetier."

Irma krault Togo, den Ridgeback, mit dem wir einmal die Woche spazieren gehen. "Gewiss, Frau Mette, Ihr seid die Schönste hier. Aber Schneewittchen bei den sieben Zwergdackeln, die ist tausendmal schöner als Ihr. Jedoch tröstet Euch." Sie lacht. "Manchmal ist auch sie schlecht drauf und sieht mies aus."

Immer diese Konkurrenz, wie gemein. Gut, für den Catwalk bin ich zu klein. Dafür stehen mir meine rassigen Marilyn-Hüften mindestens so gut wie Miss Monroe persönlich. Und der Schönheitsnorm entspricht meine Nase weit mehr als die der Streisand. Dabei gehört das Funny Girl doch zu den hinreißendsten Frauen. Selbst als Yentl.

Irma gibt Togo ein Leckerli. "Was du nur wieder hast, liebe Mette! Du weißt genau, dass du die besten Voraussetzungen für die nächste Misswahl mitbringst."

Welche Wahl? Miss Trauen? Miss Gunst? Miss Vergnügen? Ich mag es nicht, wenn Irma ironisch wird. Soll ich drei Tage lang nicht mehr mit ihr reden oder gleich den ewig sabbernden Togo auf sie hetzen?

"Nein, im Ernst, Mette. Auf deine Kurven fährt doch jede Frau ab. Was sind schon Schneewittchens Rabenlocken gegen dein langes, blondes Elfenhaar? Ein Blick aus deinen blauen Augen und die Polkappen sind Geschichte." Togo wedelt begeistert mit dem Schwanz. Irma strahlt mich an. "Deine subtile Asymmetrie macht dich zu einer Augenweide."

Was soll das nun wieder heißen? Aber es klingt gut. Wenn ich ihre Schmeichelei doch nur für einen Moment ernst nehmen könnte. Togo bellt. Für Hundezüchter zählt ja auch der Charakter, heißt es.

"Fang jetzt bloß nicht mit dem Thema 'Innere Schönheit' an, Irma. Reife braucht nun mal Zeit, um zu reifen. Die bekommt niemand geschenkt. Auch eine Prinzessin nicht."

Langsam folgen wir Togo auf die Wiese. "Schneewittchens Stiefmutter war sehr schön", seufze ich.

"Stimmt. Selbst in der Hall of Beauty drängeln sich die Bad Girls noch vor. Schönheit", sagt Irma, "ist abhängig von Zeit, Ort und dem jeweiligen Kulturkreis. Das Einzige, was du überall findest, ist der Wunsch nach Wertschätzung oder wenigstens Aufmerksamkeit. Und ein bisschen Liebe. Dazu soll die Schönheit verhelfen. Und nur dazu ist sie gut." Irma runzelt die Stirn. "Vergiss nicht: Viele setzen deswegen ihre Gesundheit aufs Spiel. Lassen sich operieren und spritzen, schlucken Pillen und tun Göttin weiß was, um schöner als Schneewittchen zu sein. Und was kommt dabei heraus? Meine Augen leiden."

Schöner als Schneewittchen? Bei ihr schaute der Prinz doch erst vorbei, als sie schon im Sarg lag. Also für wen das alles? Für was? Tatsächlich nur für Liebe und Aufmerksamkeit?

"Irmlein, Irmlein, hier mit Togo. Sag mir, ist die Schönheit logo? Ist dir vielleicht doch bekannt, für wen ich die Schönste im ganzen Land?" Togo rennt sabbernd auf mich zu.