"Warum müssen Lesben immer so männlich aussehen?" Irma schaut mich an, als sei ich vom Planeten Venus gefallen. In dieser Geräuschkulisse aus Musik, Gläserklirren und Stimmengewirr glaubt sie wohl, sich verhört zu haben. Aber was ich in diesem Nachtklub sehe, beschämt meine Augen.
"Ist es denn immer noch verpönt, liebe Irma, dass frauenliebende Frauen ihre Reize zeigen? Oder gibt eine den Kleidergeschmack an der Garderobe ab, wo er schon nach der vorletzten Party vergessen wurde?"
"Also wirklich, Mette! Du weinst doch nicht Stöckelschuhen nach, auf denen du dir die Haxen brichst? Oder engen Röcken, in denen du nicht durchatmen kannst? Über Nierenbeckenentzündungen, Rückenprobleme und verkrüppelte Füße will ich gar nicht reden", schreit Irma gegen die Musik an.
"Müssen wir unseren Sexappeal verleugnen wie Angela Merkel oder gar Madeleine Albright? Das haben wir doch nicht nötig", brülle ich im Takt des Refrains. "Kleider machen Leute. Zumindest war das so bis heute." Meine Stimmbänder vibrieren. "Liebe Irma, mit einem leckerem Ausschnitt könnte jede hier im L-Club die Hauptrolle in einem Liebesfilm spielen."
"Weißt du, Mette, die meisten Frauen, ganz gleich, mit wem sie ins Bett steigen, meiden alles, was traditionell als sexy gilt. Auch Hetis kleiden sich zweckmäßig und konservativ. Sie fühlen sich in gedeckten Farben ernster genommen und glauben, Kompetenz auszustrahlen."
Irma macht einem Pärchen den Weg zur Bar frei und fährt dann fort: "Spontan fallen mir etliche Frauen ein, die sich den angeblich ,lesbischen’ Kurzhaar-Anzug-Unisex-Stil zugelegt und ihre sexuelle Präsenz aufgegeben haben. Anke Fuchs, Ursula Lehr und auch James Bonds Chefin Judi Dench. Vertreterinnen dieses Typus gibt es unendlich viele. Vor allem im beruflichen Umfeld."
Damit kann sie bei mir nicht punkten. Während Irma und ich die Disko verlassen, um nicht endgültig heiser zu werden, argumentiere ich weiter.
"Schneid dir bitte diesen altmodischen feministischen Zopf ab, liebe Irma! Heutzutage zeigt das Outfit, was eine beruflich erreichen will. Und das ist nun mal nicht Sexbombe, jedenfalls nicht in der Frauenszene. Gepflegte Kleidung ist ein Symbol für Erfolg. Aber warum sollten wir uns nicht herausputzen wie Segolène Royal? Auch wenn sie doch nicht Präsidentin von Frankreich geworden ist."
"Sie wäre Staatspräsidentin, wenn sie sich nicht als Frau in Szene gesetzt hätte. Wer traut einer mit langem Haar und soviel Charme wie Make-up Macht und Selbstbestimmung zu? Niemand! Weder Mann noch Frau", sagt Irma. "Aber was hast du eigentlich gegen Frauen in Männerkleidern? Ich sage nur: Marlene!"
Der Einwand sitzt: Die Dietrich im Maßfrack war umwerfend erotisch. Und ihr war es gleich, wenn Fremde wegen eines Paars langer Hosen glaubten, sie sei ein Kerl.
Irma hat Recht: Wer Frauen nur wegen der Kleidung nicht von Männern unterscheiden kann, braucht eine Brille gegen Kurzsichtigkeit im Hirn. Sich an überkommene Sichtweisen zu halten, ist echt öde. Trotzdem: Warum geizen mit den Reizen?