Sonntag, 28. April 2024
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Kolumne 18

Ins Butterbrot beißen

Ich trete gegen ein Stück Holz. Meine schlechte Laune bringt mich noch um. Unter dem Holz ist ein Stein. "Aua", rufe ich und beobachte, wie der Stein knapp am Kiosk vorbei über das Geländer fliegt und in den See plumpst, ohne einen Kapitän in einer Nussschale zu erschlagen.

"Glück gehabt, meine Liebe", umarmt mich Irma von hinten. "Der Stein hätte eine Katastrophe auslösen können."

"Der Weltuntergang ist schon eingetreten", sage ich und kaufe am Kiosk ein Mineralwasser. Ich bewege mich nicht von der Stelle. Gleich kommt nämlich Carolin angerannt.

Die Sache mit Carolin ist die: Eine Bekannte einer Freundin, die eine Freundin meiner Exfreundin war, erzählte mir letzten Sonntag an der Bar, dass die dunkelblonde Frau auf der Tanzfläche, die meinen Schoß aus dem Tiefschlaf holte, dass also Carolin immer um die Mittagszeit hier am See joggt und am Kiosk vorbeirennt, an dem ich gerade herumstehe.

"Was soll ich hier, meine Liebe?", lacht Irma und stützt die Arme auf dem Stehtisch ab.

Wie soll ich ihr sagen, schau dir Carolin an? Wenn sie meine Busenfreundin ist, hat sie mir zu sagen, dass diese Frau nichts für mich ist und es sich nicht lohnt, mich in sie zu verlieben.

Warum finden alle Leute es toll sich zu verlieben? Wie kann sich ein Mensch freiwillig auf diese hormonelle Achterbahnfahrt begeben? Wenn es eine erwischt, dann ist sie für mindestens ein halbes Jahr nicht mehr zurechnungsfähig. Das Leben spielt sich auf vier Quadratmetern Matratze ab. Wenn eine endlich schafft sich ein Butterbrot zu schmieren, dann beißt sie nicht hinein, weil die Lust auf Fleisch stärker ist als der Magenfüller. Hungrig fällt sie über die Geliebte her, die sich im Bett räkelt, streckt und lockt. Natürlich ist sie für den Gewichtsverlust in der Verliebtheitsphase verantwortlich. Niemals würde ich zugeben, dass ich in der Küche meinen Po in Pose setze, damit er verführerisch wirkt. Niemals.

"Carolin wird vorbeiflitzen", sage ich in einem Ton, als ob das nichts Besonderes ist.

"Und?", schmunzelt Irma.

Wie soll ich ihr begreiflich machen, dass ich wegen Carolin nicht auf mein freies Wochenende verzichten werde. Wegen ihr nicht. Sie wird es niemals schaffen, die Lust auf ein paar entspannte Stunden zu wecken. Ich werde für sie keinen Platz in meiner vollgestopften Agenda schaffen. Nein! Da muss schon eine ganz Besondere kommen, damit ich mein bequemes Leben aufgebe. In meinen Zehn-Jahres-Plänen kommt dieser durchtrainierte Wuschelkopf nicht vor. Niemals.

"So gequält, wie du aussiehst", meint Irma, "denkst du über Zwei in einem Bad voller Rosenblätter und zwei Zahnbürsten im Glas nach."

Ich erröte. Weiter hinten sehe ich sie laufen. Mein Schoß klopft. Sie läuft in Begleitung. Mein Herz lacht. Wer läuft schon gern allein?

"Weiß deine Angebetete von ihrem Glück?", fragt Irma. Ich verneine.

"Hast du je ein Wort mit ihr gewechselt?" Ich schüttele den Kopf.

"Ist das die, die über die Brücke gerannt kommt?"

"Ja", flüstere ich. Zwei Buchstaben, für die ich mein Leben auf dem Kopf stellen werde.

Irma wird blass. "Darf ich vorstellen: Die Joggerin, die neben Carolin läuft, heißt Christine. Sie ist ihre Lebensgefährtin, seit fünf Monaten."

Noch einmal Glück gehabt, denke ich erleichtert. Dabei rollt mir eine Träne über die Wange.